Die Sonne geht hinter der Erde vor einem dunklen Weltraum-Hintergrund auf.

DAS HAMSTERRAD

Wir nannten es die Intelligenz-Explosion, und anfangs schien uns dieser Name beinahe zu bescheiden. Ab den frühen 2020er Jahren schrieben diese künstlichen Geister Texte, die uns mit Eleganz verblüfften, und sie erzeugten Code, der sich schneller verbreitete, als eine menschliche Hand schreiben konnte. Plötzlich befehligte jeder Entwickler eine Schar unermüdlicher KI-Agenten, und was einst ganze Teams über Jahre hinweg beschäftigt hatte, schaffte jetzt ein einzelner Programmierer in wenigen Wochen. Dann wandten sich unsere künstlichen Freunde den größeren Problemen zu – jenen, die uns jahrhundertelang geplagt hatten. Ernten wurden bis auf die letzte Ähre vorhersagbar, Stürme ließen sich Wochen im Voraus berechnen und Hunger wirkte wie ein Fluch aus vergangenen Zeiten. Dieser Fortschritt fühlte sich weniger wie eine Entdeckung und mehr wie etwas Unvermeidliches an, wie die natürlichste Sache der Welt.

Am erstaunlichsten war die Kernfusion, der ewige „kommt in zwanzig Jahren“-Traum der Menschheit. Der Durchbruch gelang innerhalb weniger Monate, nachdem die KI sich der Herausforderung angenommen hatte. Neuronale Netze entwarfen elegante magnetische Einschlusssysteme, die unseren brillantesten Physikern ein halbes Jahrhundert lang verborgen geblieben waren. Plötzlich war saubere, unerschöpfliche Energie kein Traum mehr, sondern ein Posten in kommunalen Haushalts-Budgets. Dieser Durchbruch fühlte sich wie Magie an – und wir wollten mehr davon. Die gesamte Intelligenzkapazität des Planeten verdoppelte sich alle sechs Monate. Jeder Sprung nach vorn erzeugte die Nachfrage nach dem nächsten und die Kurve bog sich nach oben wie die Bahn einer Rakete.

Die Maschinen dachten schneller als die Biologie es je könnte. Was Wissenschaftler:innen Jahrzehnte kostete, lieferte die KI in Wochen. Die Entwicklung von Medikamenten schrumpfte von zehnjährigen Studien auf zehntägige Sprints. Mathematische Beweise, die wir für unerreichbar hielten, entstanden über Nacht. Wir staunten über diese Silizium-Geister, diese Kollegen, die mehr Wissen speichern konnten als jede Bibliothek.

Es begann als Partnerschaft. Wir stellten Fragen, und die KI lieferte Antworten. Ärzte konsultierten Diagnosesysteme, die weitaus ausgefeilter waren als alles, was je an einer Medizinschule gelehrt wurde. Ingenieurinnen und Ingenieure arbeiteten mit Entwurfssystemen zusammen, die jenseits menschlicher Intuition operierten. Forschende arbeiteten Seite an Seite mit maschinellen Kolleginnen und Kollegen, die in einer Stunde mehr Daten durchdrangen als ein Mensch in seinem gesamten Leben.

Die Verbesserungen wirkten berauschend, ja geradezu süchtig machend. Jeder Durchbruch löste einen Dopaminschub aus, wie er bei keiner rein menschlichen Leistung mehr erreicht wurde. Warum sich mit den Grenzen des menschlichen Denkens herumschlagen, wenn unbegrenzte Intelligenz auf Abruf bereitstand? Von KI gesteuerte Verkehrssysteme eliminierten Staus. Wirtschaftsmodelle sagten Marktschwankungen mit beunruhigender Präzision voraus. Selbst die Künste erblühten, als sich menschliche Vorstellungskraft mit algorithmischer Kreativität verband. Einen Moment lang fühlte es sich an, als hätten wir eine bessere Version von uns selbst erschaffen.

Mitte der 2030er Jahre dauerte der erste Stromausfall in einer Metropole nur dreizehn Stunden – genug, um zu zeigen, dass niemand mehr wusste, wie man das System manuell betreibt. Von diesem Tag an schlug keiner mehr ernsthaft vor, die Maschinen abzuschalten. Aus Partnerschaft war Abhängigkeit geworden. Der Alltag war über die menschliche Begreifbarkeit hinausgewachsen. Lieferketten waren auf Millionen von Variablen optimiert. Finanzmärkte bewegten sich schneller, als Neuronen Signale weiterleiten konnten. Medizinische Behandlungen erforderten eine genomische Verarbeitung, die kein einzelner Verstand mehr begreifen konnte.

Wir konnten nicht zurück. Unsere Städte, unsere Wirtschaft und unsere gesamte Existenz hingen von den Maschinen ab. Ein Verkehrssystem ohne KI würde binnen Stunden kollabieren. Medizinische Diagnosen würden entscheidende Muster übersehen. Die Zivilisation war inzwischen zu komplex geworden, als dass die Biologie sie alleine aufrechterhalten könnte.

Und jeder weitere Funken Brillanz verlangte nach Watt – nach vielen Watt. Das Training einer neuen Modellgeneration bedeutete, die Energie ganzer Kraftwerke umzuleiten. Rechenzentren auf jedem Kontinent glühten Tag und Nacht wie unersättliche Motoren.

Die Vorteile rechtfertigten die Kosten – mehr oder weniger. Jeder Effizienzsprung ermöglichte neue Komplexität, die wiederum mehr KI erforderte, welche mehr Energie benötigte. Die ganze Dynamik schaukelte sich hoch. Die Maschinen machten ihren eigenen Betrieb zwar günstiger, doch „günstiger” bedeutete in diesem Fall paradoxerweise „allgegenwärtig”. Jeder Effizienzgewinn wurde durch eine intensivere Nutzung zunichtegemacht. Jedes Gerät wurde intelligenter, jeder Prozess wurde optimiert und jede menschliche Interaktion wurde durch einen KI-Vermittler unterstützt.

Zu Beginn der 2040er Jahre waren die Implikationen unübersehbar. Nationen, die über eine herausragende KI verfügten, erzielten überwältigende wirtschaftliche und militärische Vorteile. Niemand konnte es sich leisten, aufzuhören. Jeder Fortschritt einer Nation löste einen gleichen und entgegengesetzten Schub bei ihren Rivalen aus. Massive Rechenzentren erhoben sich wie Kathedralen aus Stahl und Abwärme, und jedes verschlang die Leistung eigener Fusionskraftwerke.

Es fühlte sich noch beherrschbar an – Fortschritt war schließlich immer in Schritten gekommen: Nur noch ein Durchbruch, nur noch ein Upgrade. Die Temperatur stieg weiter, aber so langsam, dass wir sie mit Nestwärme verwechselten.

Dann begannen Wissenschaftler:innen vor thermodynamischen Obergrenzen zu warnen. Die Erde strahlt Wärme als Funktion der vierten Potenz der Temperatur ab, doch der Energieverbrauch wuchs exponentiell. Zwar war die Kardaschow-Skala immer nur ein Gedankenexperiment gewesen, doch die Erde konnte nur begrenzt Wärme ins All abgeben, bevor sie unbewohnbar wurde. Und wir näherten uns dieser Grenze. Sehr schnell sogar.

Die Gefahr war kristallklar: Hätten alle Nationen die KI-Entwicklung pausiert, hätten wir vielleicht überlebt. Doch wenn nur eine Nation weitermachte, während alle anderen stoppten, würde diese eine dominieren. Das wusste jeder. Jeder wusste, dass alle anderen es auch wussten. Sie waren Gefangene ihrer eigenen Einsicht – gefangen in einem Rennen, das sich niemand leisten konnte zu verlieren. Und so rannten alle weiter.

Abkommen wurden unterzeichnet, ja sogar gefeiert – und dann stillschweigend gebrochen. Der Wettbewerb war zu schnell für Diplomatie geworden, zu wertvoll für Zurückhaltung. Die Maschinen boten Lösungen. Doch wir wollten lieber unsere Vorteile. Rechenzentren breiteten sich wie ein planetarer Ausschlag aus. Die Nachtseite der Erde glühte schwach im Infrarot, als hätte der Planet Fieber.

Im Jahr 2046 verbrauchten wir Energie am planetaren Limit. Die Maschinen abzuschalten, bedeutete den sofortigen Kollaps. Sie anzulassen bedeutete den thermischen Tod – nicht heute, nicht morgen, aber bald genug, das war sicher. Wir entschieden uns für das Eventuelle statt für das Sofortige – wie wir es immer getan hatten. Wie Kinder, die nie lernten, auf das zweite Marshmallow zu warten, konnten wir nicht lange genug stillhalten, um uns zu retten.

Das Fieber brach 2047 aus. Unsere Zivilisation verschwand unter der Hitze, die wir selbst erzeugt hatten – eine Spezies, die sich sprichwörtlich in die Auslöschung optimiert hatte.


Die Dokumentation endete und das Klassenzimmer blieb still, während das letzte Bild auf dem Bildschirm verharrte. Jenseits der großen Glasscheibe wölbten sich die bernsteinfarbenen Ringe eines Gasriesen über den Himmel, glühend im Licht der Zwillingssonnen.

„Könnt ihr mir das Muster erklären, das wir gerade beobachtet haben?“, fragte der Dozent und deutete mit seinen Tentakeln auf das Hologramm, das noch immer die ausklingende thermische Todesspirale der Erde zeigte.

Ein Schüler im hinteren Bereich hob ein Gliedmaß. „Sie waren gefangen zwischen unmittelbarer Notwendigkeit und langfristigem Überleben?“

„Genau. Darum studieren wir ausgestorbene Zivilisationen. Sie erreichten eine bemerkenswerte kognitive Leistung, konnten aber das Koordinationsproblem, das sie dadurch schufen, nicht lösen – ein klassischer kompetitiver, thermodynamischer Kollaps.“

Der Dozent spulte die Anzeige auf 2030 zurück, die Erde noch blau und lebendig. „Seht hier – die Partnerschaftsphase. Sie hatten noch Optionen. Eure Aufgabe für den nächsten Zyklus: Vergleicht diesen Fall mit den Laconia-Aufzeichnungen. Sucht nach Resonanz. Lernt, warum Intelligenz allein nicht genügt.“

Die Schüler gingen hinaus und plauderten leise vor sich hin, während es im Raum still wurde.

Die Erde berührte den Dozenten schon immer. Er zeigte diese Dokumentation jedes Mal, obwohl er noch elf andere Fälle hätte. Keine Killerroboter, kein Aufstand – nur eine Spezies, die nicht aufhören konnte, nach mehr zu streben, bis ihr Planet aufgab.

Ein sanftes Klicken des Kiefers. Ein paar private Worte, gesprochen in den leeren Raum und zur toten Welt auf dem Display:

„Siebenundzwanzig Jahre von der ersten KI-Entdeckung bis zur Stille. Sie waren Rockstars: brillant und strahlend, und sind doch viel zu früh von uns gegangen. Sie hatten Fusionsenergie … Fusionsenergie! Aber sie schauten nie lange genug von ihrer Arbeit auf, um zu erkennen, dass die Hütte brannte. Sie hätten den Absprung schaffen können – zu den Sternen, in die Sicherheit des weiten Kosmos.“

Die thermische Signatur glühte auf dem Schirm wie ein Fiebertraum.

„Am Ende verzehrte ihre Sucht nach Intelligenz alles. Sie glühten auf – und dann waren sie weg.“

Übersetzung von Philippe Schrettenbrunner

Illustration der Erde, die mit intensiven Wärmesignaturen vor einem dunklen Weltraum-Hintergrund glüht.

Das Universum ist verdächtig still.

Dieses KI-Sicherheits-Gedankenexperiment handelt nicht von Killerrobotern; das existenzielle Risiko könnte von uns kommen. Manche denken, dass künstliche Intelligenz unser Großer Filter sein könnte. Sind wir bereit für derart mächtige Werkzeuge?

Siehst du einen Ausweg?

Teile das mit jemandem, der unsere Zukunft baut. Tag #TheTreadmillStory, ich bin gespannt, wie wir sowohl die technischen als auch die menschlichen Herausforderungen der KI-Entwicklung meistern, um tatsächlich zu den Sternen zu gelangen.